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Wie wirklich ergonomische Tastaturen aussehen

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Gleich mal ein Disclaimer vorneweg: ich habe keine Handgelenksprobleme und ich hatte auch gottseidank noch nie welche. Ich kam auf ergonomische Tastaturen aus ganz anderen Gründen.

Die üblichen Ergo-Tastaturen unter dem Stichwort Natural Keyboard am Markt sind an sich keine wirklich ergonomischen Alternativen, wenn man's genau nimmt. Das mag für viele Menschen überraschend sein. Besonders für diejenigen, die auf das entsprechende Marketing hereingefallen sind. Dieser Artikel erklärt, weshalb hier Ergonomie mehr Hardware-Anpassungen erfordert.

Bei Tastaturen gibt es meiner Meinung nach mehrere Ebenen, auf denen man deren Ergonomie verbessern kann und soll, um gesundheitlichen Problemen vorzubeugen oder bereits aufgetretene Probleme effektiv zu verbessern:

  1. logisches Layout: Wo ist Taste "e" zu tippen?
  2. haptisches Layout: Verbiegen der Finger, wenn man von "s" zu "w" wechselt (Fingerbewegungen)
  3. physische Anordnung: Hand-, Arm- und Schulterhaltung beim Tippen

Diese "Natural Keyboards" von Microsoft, Logitech und Co. adressieren von ihrer Hardware her nicht wirklich irgendeinen Aspekt ernsthaft. Punkt 1 kann man mit unterschiedlichem Software-Layouts noch korrigieren aber dazu braucht man auch keine andere Tastatur. Schließlich kann man jederzeit auf einer QWERTZ-Tastatur auf eine andere Tastenbelegung wie beispielsweise QWERTY via Betriebssystem einfach umstellen.

Wirklich ergonomische Tastaturen schauen anders aus uns sind dadurch auch leider etwas teurer. Ich habe schon für sinnlosere Dinge Geld rausgeworfen. Meine ergonomische Tastatur gebe ich nicht mehr her.

Nun, warum schaut meine Tastatur so aus, wie sie aussieht? Gehen wir die drei Punkte Schritt für Schritt durch.

Logisches Layout: Wo ist Taste "e" zu tippen?

Die Anordnung der Buchstaben auf der Tastatur ist so gewählt, dass man seine Finger maximal weit bewegen muss, damit man maximal langsam tippen kann. Ich habe auf diesen Artikel (Englisch) ein paar interessante Links dazu. Bei mechanischen Tastaturen musste man das Layout so anlegen, damit die Typenhebel sich weniger oft verhaken. Dabei wurde nicht auf Tippgeschwindigkeit optimiert, sondern auf Zuverlässigkeit der Mechanik. Das wird oft gerne missverständlich als "auf Langsamtippen optimiert" formuliert. Das ist dann wohl Haarspalterei, solange die Anordnung im Layout nicht primär aufs Schnelltippen ausgelegt wird.

QWERTY typewriter key layout depicted in U.S. Patent No. 207,559, issued August 27, 1878 to Christopher Sholes.
Eine QWERTY-Anordnung von 1878.

Dieses Manko kann man mit unterschiedlichen Konfigurationen ohne Hardware-Tausch ändern, wenn man möchte. Für deutschsprachige Personen eignen sich beispielsweise Neo2. Hierzu gab es bei den Grazer Linuxtagen (sehr empfehlenswert auch für die Leute außerhalb von Graz!) diesen tollen Vortrag meines Freundes Lukas. In den Jahren davor gab's auch schon welche zu dem Thema.

Ich persönlich bin hier trotzdem bei "US international with dead keys" geblieben, da die Optimierungen der folgenden Punkte mir soviel Erleichterung gebracht haben, dass ich im Moment nicht noch mehr auf Fingerbewegung und Geschwindigkeit durch Neulernen eines anderen Layouts weiter optimieren möchte. "US international" als deutschsprechender Benutzer deswegen, weil dadurch sehr viele Tastenbefehle erstmals Sinn ergeben und ich die für Techniker häufig notwendigen Zeichen wie {}[]\| deutlich besser tippen kann. Deutsche Umlaute tippe ich mittels Digraph-Methode wie folgt: " + aä

Haptisches Layout: Verbiegen der Finger

Die relative Anordnung der Tasten zueinander kommt ebenfalls aus der Zeit der frühen mechanischen Tastaturen. Damit diese mechanischen Hebel sich nicht in die Quere kommen, sind die Reihen zueinander verschoben, damit die horizontalen Gestänge zwischen den "oberen" Tasten hindurchkommen. Dieser seitliche Tastenversatz ist nicht gut für deine Finger und hat seit vielen Jahrzehnten seinen ursprünglichen Zweck verloren.

Die logische Lösung dafür sind sogenannte ortholineare Keyboardanordnungen: die Finger müssen nur noch rauf und runter und nicht mehr links/rechts (außer Zeigefinger).

Eine einfache ortholineare Anordnung der Tasten.

Weitere Verbesserungen kann man erziehlen, indem man beispielsweise die Daumen nicht mehr auf nur eine Leertaste beschränkt, sondern mehrere Zusatztasten damit nutzt. Das Beispiel oben ist nur eine der wenigen minimal angepassten Anordnungen. Die meisten sogenannten OLKB-Tastaturen (für "ortho-linear keyboards") versuchen, das Maximum an Verbesserungen herauszubekommen.

Da diese Tastaturen auch für DIY-Projekte einfacher in der Fertigstellung sind, gibt's hier eine interessante Subkultur.

Physische Anordnung: Hand-, Arm- und Schulterhaltung beim Tippen

Nun kommen wir zur Meisterklasse, wenn's um ergonomische Tippen geht. Spätestens hier verlieren alle herkömmlichen Tastaturen und "Natural Keyboards" ihre Berechtigung und die wirklich ergonomischen Tastaturen kommen ins Spiel.

Diese Seite enthält ein paar Reviews durch einen Experten auf dem Gebiet (der kein guter Webdesigner ist). Grundsätzlich sieht man, dass die Hände oft weiter voneinander entfernt sein dürfen. Das entlastet auch Schultern und Rücken und führt dadurch zu merklich weniger Verspannungen.

Weiters gibt's Anordnungen, wo die Tasten deutlich besser an die "Anordnung" der Finger und der Hand angepasst werden anstatt umgekehrt. Das kann man in der Ebene machen als auch im Raum. Letzteres führt zu Kavitäten, wo beispielsweise die Hauptreihe der Tasten direkt unter den Fingern liegt aber die Tasten darüber und darunter etwas der natürlichen Fingerhaltung durch eine kurvige Anordnung entgegenkommt. Eine Mulde entsteht also.

Kinesis Advantage2 von der Seite mit der Anordnung in Form einer Mulde.

Meine Arbeitsplatzsituation

Ich kam aus diesem Grunde Anfang 2021 an eine gebrauchte Kinesis Advantage2. Die habe ich noch mit einem (gekauften) DIY-Platinchen auf QMK aufgepimpt, um noch mehr Freiheiten in der Programmierung zu bekommen. Weitere Optimierungen meines persönlichen Layouts kamen dazu.

Mittlerweile gibt es schon die Advantage360 von Kinesis. Die schaut moderner aus, besteht aus zwei separaten Hälften und erlaubt ein paar Freiheitsgrade bei der Wahl der Winkel. Die Nachteile sind: sie ist teurer, die gute Version kann leider nur Bluetooth und die F-Tasten sind weg. Es gibt europäische Retailer aber die muss man schon gezielt suchen.

Mein aktueller Arbeitsplatz mit der Kinesis Advantage2, Trackball und einem Handtuch. (klicken für größere Version)

Meine aktuelle Arbeitsplatzsituation besteht aus zwei 24"-Monitoren, wobei einer aufrecht und einer horizontal aufgestellt ist. Unter dem horizontalen habe ich in der dunklen Jahreshälfte eine Tageslichtlampe zum Energiegewinnen aufgestellt. Neben meiner Kinesis Advantage2 steht ein Trackball statt einer Maus. Dieser hat den Vorteil immer am selben Platz zu liegen und erlaubt somit minimale Armbewegungen zum Steuern des Mauscursors am Monitor. Vor der Tastatur liegt ein Handtuch, was ich mir von Xah Lee abgeschaut habe. Das zusammengelegte Handtuch ist größer und deutlich bequemer als eine typische Handballenauflage, verhindert auch Probleme durch das Aufliegen der Unterarme an der Tischkante und kann problemlos gewaschen werden. Rechts oben am Foto sieht man noch mein Mikrofon ins Bild hängen. Das ist an einem flexiblen Mikrofonständer befestigt und hat einen physischen Mute-Knopf, den ich bei Videokonferenzen sehr liebgewonnen habe.

Ein weiter positiver Nebeneffekt von meiner ergonomischen Tastatur ist, dass ich nun erstmals blind tippe. Das gelingt mit so einer Tastatur auch deutlich einfacher und ist somit aus meiner Perspektive schon fast die logische Konsequenz.

Mobile Optionen

Ich muss mich allerdings auch gleich entschuldigen: meiner Erfahrung nach hat man nach dem Lernen der Ursprünge unserer herkömmlichen Tastaturen kaum noch Spaß, auf soetwas zu tippen. ;-)

So geht es mir jedenfalls, wenn ich unterwegs bin und leider auf der unergonomischen Tastatur vom Notebook tippen muss. Es existieren zumindest ortholineare Notebooktastaturen aber die sind sehr selten. Die Berliner Hardware-Schmiede MNT Research hat mit einer Tastatur-Variante vom MNT Reform als auch mit dem schnuckeligen MNT Pocket Reform zwei Produkte, die offenbar in der OLKB-Community Anklang finden.

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