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Die neue Falter Android App: Warum bloß?

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Diese Woche kam ein Update der Android-App vom Magazin Falter auf mein Tablet. Ich muss dazusagen, dass ich kein gewöhnliches Tablet habe, sondern mit einem BOOX Note Air ein 10,2" e-Ink-Gerät habe. Es ist quasi wie geschaffen für aktives Lesen (annotieren, hervorheben, herumkritzeln) als auch normales Lesen (Webseiten, e-Books, Nachrichtenfeeds, ...). Daher genoss ich es, die Artikel vom Falter auf diesem tollen Gerät zu lesen. Bis vor dessen App-Update.

Das Update ist aus meiner Perspektive eine Verschlechterung auf fast allen Ebenen. Ich konnte nicht umhin, diese Zeilen hier zu schreiben, um eventuell auch Menschen in Entscheidungspositionen zu demonstrieren, was ihre Tätigkeiten für Auswirkungen haben, wenn der Benutzer nicht im Zentrum steht. Das beschränkt sich leider keinesfalls auf die Macher der Falter-App alleine.

Die vorige App

Ich fand nach initialer Gewöhnung an das Bedienkonzept der Falter App so viel Gefallen an der Kombination, dass ich seit Monaten die Papierversion nur noch meiner Frau überließ und das Magazin selber ausschließlich am Tablet las.

Aus meiner Erinnerung war die App im Grunde genommen so aufgebaut:

Die App reagierte hinreichend flott auf meinem Tablet. Die Interaktionselemente waren auf meinem Tablet zwar teilweise ein wenig unnötig groß aber das habe ich als mangelnde Anpassung auf größere Displays auch noch geschluckt.

Keine besonders herausragend gute App aber eine App, die man durchaus gut verwenden kann. Oh, Sorry: konnte.

Version 6.5

Aktualisierungen von Anwendungen sind prinzipiell eine gute Idee. Schon aus Sicherheitsgründen muss man Updates zeitnah einspielen. Immer.

Manche Updates kommen mit neuen Funktionen daher. Das ist meistens für den Benutzer eine willkommene Sache.

Selten gibt es Updates, wo die grundlegenden Konzepte einer App sich ändern. Wir haben hier so einen Fall. Die neue Falter-App ist in ihrer Version 6.5 ziemlich anders. Leider. Die kommenden Abschnitte befassen sich mit den einzelnen Teilen im Detail.

Die Struktur

Die generelle Struktur ist nun so: Anstatt einer Startseite gibt es drei "Tabs", die man ganz unten umschalten kann. Für die folgenden Bezeichnungen muss ich dazusagen, dass all meine Geräte für die englische Sprache konfiguriert sind, weil ich mir die großteils schlechten Übersetzungen sparen will. Aus diesem Grunde liest man hier die ins Englische übersetzten Bezeichnungen der App.

  1. Dashboard
    • Man sieht die Ausgaben des Falters mit Indikation, ob sie lokal vorliegt.
    • Man sieht im unteren Bereich einen Werbebanner.
  2. Issues
    • Man sieht die Ausgaben des Falters mit Indikation, ob sie lokal vorliegt.
  3. My Newspaper
    • Das hier ist wieder zweigeteilt mit einer Tab-Umschaltung allerdings nun im oberen Bereich:
      1. Man sieht die Ausgaben des Falters mit Indikation, ob sie lokal vorliegt.
      2. Bookmarks
Das Dashboard (klicken für größere Version)
Issues (klicken für größere Version)
My Newspaper (klicken für größere Version)

Es ist mir wirklich schleierhaft, was das soll. In jedem Tab kann ich in die PDF-Ansicht der jeweiligen Ausgabe wechseln. Würde man "Dashboard" als auch "Issues" ersatzlos streichen, hätte das meiner Meinung nach nur Vorteile für den Benutzer und keine merklichen Nachteile. So eine Situation kenne ich nur von frühen Alpha-Versionen einer App aber nicht bei fertig ausgerollten Anwendungen. Das muss jedem Benutzer sofort auffallen, dass hier etwas nicht stimmt.

Bookmarks

Ich verwendete die Bookmarks, um mir Artikel zum Lesen vorzumerken. Dazu gehe ich jede neue Ausgabe im PDF-Modus durch, lese Kleinigkeiten sofort und markiere mir jeden längeren Artikel in der Artikelansicht da man in der PDF-Ansicht keine Bookmarks setzen kann.

Die kurze Bookmark-Liste der alten App war übersichtlich:

Bookmark-Übersicht der alten Falter-App (klicken für größere Version)

Leider waren die Bookmarks vom Update bis 2021-07-02 weg:

Fehler beim Laden der Bookmarks (klicken für größere Version)

Obwohl die Bookmarks lokal als auch am Server liegen (man kann sich die Server-Synchronisierung aussuchen), waren alle Bookmarks lokal weg. Das machte mich schon etwas nervös.

Inzwischen hat die App die Bookmarks wieder hergestellt. Jedoch muss ich sagen, dass ich die neue Ansicht fürchterlich unübersichtlich finde:

Neue Bookmarkübersicht (klicken für größere Version)

Hier muss ich nun trotz großem Display heftig scrollen, damit ich wenige Bookmarks weiterkomme. Keine gute Designentscheidung, wenn man mich fragt.

Auch das Setzen der Bookmarks ist nun merklich erschwert. Konnte man in der vorigen Artikelansicht das Setzen und Löschen eines Lesezeichens noch in der ständig angezeigten Iconleiste erledigen, ist es nun in einem Untermenu versteckt. Das bedeutet nicht nur, dass das Setzen und Löschen einen unnötigen Arbeitsschritt mehr verlangt, sondern dass man auch nicht mehr direkt sehen kann, ob der aktuelle Artikel ein gesetztes Lesezeichen hat oder nicht.

Was ich mir als Änderung stattdessen gewünscht hätte wäre eine Multiklassifizierung. Bookmarks sind binär: gesetzt oder nicht gesetzt. Doch was ist mit Dingen wie "möchte ich unbedingt lesen", "möchte ich eventuell noch lesen", "fand ich interessant und möchte ich leicht wiederfinden", "das ist ein Artikel meiner Lieblingsautorin", "das kann ich in meiner Lehrveranstaltung wiederverwenden", und so weiter. All das kann man mit simplen Bookmarks nicht abdecken. Doch mit Tags/Labels/Schlagwörtern ginge das, sofern man die Usability so hinbekommt, dass sie rasch und einfach benutzt werden können. Die Firma, die die Falter-App implementiert, bekommt das sicher nicht ordentlich hin. Also besser gar nicht erst probieren, weil ich das entsprechende Ergebnis befürchten muss und somit die Bookmark-Funktion komplett verlieren würde.

Weiters fiel mir auf, dass ich einen ständigen Hinweis auf "No internet connection" im oberen Teil angezeigt bekomme, obwohl ich tatsächlich während der App-Bedienung Internet aktiviert habe. Da hängt also auch etwas. Das sieht man im vorigen Screenshot oberhalb und leider auch in jeder anderen Ansicht und nimmt viel Platz weg. Das ist mir schleierhaft, da ich die Download-Funktion für Ausgaben ja schätze, damit ich beispielsweise im Freibad ungestört lesen kann. Doch das wird ab sofort mit einem gewissen Prozentsatz an Bildschirmplatz bestraft. Der Nutzen dieser ständigen Warnung ist nicht gegeben. Es reicht der Hinweis, wenn man eine Online-Operation ausführt.

Update 2021-10-12: Ich kam gestern drauf, dass wenn der Bookmark-Server Probleme hat, man auch am lokalen Gerät - das selbe, an dem man die Bookmarks erstellt hat - auch keine Bookmarkübersicht angezeigt bekommt, sondern nur die Meldung, dass man aktuell nicht Bookmarks synchronisieren kann. In den einzelnen Artikeln kann man nach wie vor Bookmarks setzen und löschen. Daher muss man beispielsweise die zu lesende Ausgabe Artikel für Artikel durchschauen, wo man Bookmarks gesetzt hat. Das kann's ja wohl wirklich nicht sein!

PDF-Ansicht

In der PDF-Ansicht gibt es nun extrem große Pfeile nach links und rechts zum Blättern, für Menschen, die das Swipen nicht zum Blättern verwenden. Leider nehmen diese Elemente meiner Meinung nach viel zu viel Platz weg:

PDF-Ansicht mit den riesigen Pfeilen (klicken für größere Version)

Man kann sich die Seiten nun vorlesen lassen. Finde ich nicht nur für Sehbehinderte gut, werde ich selber allerdings nie brauchen.

Was mir den Spaß an der Falter-App aktuell gänzlich vermiest: Pinch to zoom ist plötzlich schnarchlangsam. Man zoom und kann dann die Sekunden runterzählen, bis sich die Ansicht ändert. Da man für die Wahl des Ausschnitts interaktiv mitschauen muss, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen, ist Pinch to zoom somit praktisch tot. Das Feature ist daher gänzlich unbrauchbar.

Umblättern braucht ebenfalls viel zu lange. Ich zählte bis zu sieben Sekunden. Deshalb passiert es gerne, dass man zu viele Seite auf ein Mal umblättert, da man etliche Male draufklickt, um dann plötzlich nach zehn Sekunden vier Seiten weiter zu landen.

Die Macher der App sollten meiner Meinung mal Grundlagen lernen. Jakob Nielsen definierte vor fast drei Jahrzehnten erwartbare Reaktionszeiten für Computeranwendungen. Demnach muss Pinch to zoom innerhalb der Zehntelsekunde und das Umblättern innerhalb der Sekunde passieren, bevor der Benutzer ein Frusterlebnis hat.

Mit Android 10 auf einem 8-Kern-Prozessor mit 1,8 Gigahertz und drei Gigabytes Hauptspeicher kann ich durchaus davon ausgehen, dass es in meinem Fall auch nicht an der Hardware liegen sollte.

Artikelansicht

In der Artikelansicht ist nun neben den Icons zum Schriftgrößenändern anstatt des ins Untermenu gewanderten Bookmark-Icons das Icon zum Vorlesen angezeigt. Ich möchte nochmal betonen, dass dadurch das Bookmark-Feature fast unbrauchbar geworden ist. Und das, obwohl in der Leiste in meinem Fall noch Platz für mindestens acht weitere Icons wäre, der ungenutzt bleibt:

Artikelansicht (klicken für größere Version)

Hier sieht man das Untermenü mit drei Punkten, worin sich das Bookmark-Feature versteckt:

Menu 1 der Artikelansicht (klicken für größere Version)

Neben dem Dreipunkte-Menu gibt es noch ein weiteres Menu mit drei Strichen. Ich fürchte das widerspricht den Design-Guidelines für Android-Systeme: entweder ein Menu mit drei Punkten oder eines mit drei Strichen. Der Benutzer muss lernen oder ausprobieren, welches der gewünschten Features er jetzt jedem Menu zuordnen muss.

Menu 2 der Artikelansicht (klicken für größere Version)

Es gibt in der Artikelansicht keinen optischen Indikator, wie weit man bereits beim Lesen oder Scrollen ist. Man merkt erst, dass der Artikel zu Ende ist, wenn man am Ende angelangt ist. Das kenne ich so von keiner anderen App.

Fazit

Ich weiß, wie man mobile Apps heutzutage ungefähr entwickelt und war durchaus beruflich auch involviert.

Einerseits hat man typischerweise etliche Testgeräte, an denen man mit verschiedenen Hardwareausstattung und Bildschirmdimensionen die Benutzbarkeit und andere technische Parameter testet.

Andererseits macht man kurze Tests mit unbedarften Anwendern, denen man bei der Bedienung der App über sie Schulter schaut, um Probleme zu identifizieren. Dabei gibt es auch eine Abart namens "Thinking Aloud Tests", wo die Testpersonen auch aufgefordert werden, ihre Gedanken dabei auch mitzuteilen, um Irritationen und so weiter besser interpretieren zu können.

Nichts davon scheint im Portfolio der Firma zu sein, die für dieses App-Update verantwortlich ist.

Ich hoffe sehr stark, dass das Update entweder rückabgewickelt wird (eher unwahrscheinlich, da der Update sicher gutes Geld gekostet hat) oder die Macher bei einem kommenden Update vielleicht anfangen, auch an die Endbenutzer zu denken.

Bis dahin muss ich wieder aufs Papier umsteigen. Papier hat Vorteile, hat aber auch Nachteile, wenn man sich digitale Abläufe zurechtgelegt und liebgewonnen hat.

Ausgewählte technische Daten von der Falter-App

Einige Angaben habe ich aus Privacy-Gründen mit xxx ersetzt.

Datum: 01.07.2021 19:14:20

Gerät:
Device-Type: AndroidLarge
Device: ONYX NoteAir
OS-Version: Android 10
OS-Version Incremental: 1944
Device-Id: xxx
Push-Token: xxx
Freier Speicherplatz: 14.9 GiB
Lokale Ausgaben: 22
Rooted: false
WebView-UserAgent: Mozilla/5.0 (Linux; Android 10; NoteAir Build/2021-04-08_15-02_3.1_9821c17; wv) AppleWebKit/537.36 (KHTML, like Gecko) Version/4.0 Chrome/90.0.4430.66 Safari/537.36

Version:
Store-Version: 6.5 / Versioncode: 650000
Client-Version: Falter_Android/6500/6500
Server-Version: 6960
MPS-Version: 6.5.9.0
GIT-Revision: 6989:cb7871cb8
Build-Datum: 2021-06-29-0836

User-Info:
Abo-Nummer: xxx	  

Update 2021-11-21

Ich habe auf meine Emails an die Falter Redaktion als auch auf mehrere Tweets an Florian Klenk (wenn er sich über mies gemachte Apps anderer Organisationen aufgeregt hat) bislang keine Antwort erhalten.

Heute habe ich mir kurz angeschaut, ob App-Updates die Situation geändert haben. Aktuell ist bei mir folgende App-Version:

Version:
Store-Version: 6.7 / Versioncode: 670000
Client-Version: Falter_Android/6700/6700
Server-Version: 6116
MPS-Version: 6.7.0.0
GIT-Revision: 7245:49a769ac5
Build-Datum: 2021-11-02-1451	  

Struktur: Dashbaord/Issues/My Newspaper

Hier gibt es keine Änderung. Ich habe nach wie vor wenig Ahnung, was die Redundanz mir bringen soll außer Verwirrung.

Bookmarks

Wenn ich auf den verhältnismäßig versteckten Bookmarks-Tab gehe, sehe ich eine leere Bookmark-Liste mit der Meldung: "It is currently not possible to synchronize your bookmarks. Please try again later."

Das hatte ich in der Früh und das habe ich nach wie vor am Nachmittag.

Interessanterweise ändert sich das, wenn ich dem Tablet das WLAN abschalte. Dann muss ich die nervige Meldung "No internet connection" akzeptieren, sehe aber meine alten Bookmarks wieder.

Ich habe eben alle meine Bookmarks gelöscht. Durch die Unbrauchbarkeit der App sind meine vorgemerkten alten Artikel ohnehin überholt.

Falls ich die App wieder nutzen sollte, bin ich mir nicht sicher, ob ich statt dem Bookmark-Feature nicht einfach einen Zettel aus Papier benutze. Das scheint mir sinnvoller zu sein - bei all meiner Technikliebe. Aktuell habe ich die Wahl zwischen "gar keine Bookmarks" und "nervige Du-hast-dein-Internet-abgeschaltet-Meldung".

PDF-Ansicht

Die riesigen Pfeile zum Umblättern sind nun weg. Danke dafür.

Stattdessen kann ich nun nur noch mit großzügigen Swipe-Gesten blättern. In meiner Standard-App für PDF-Betrachten und -Bearbeiten genügt ein einfacher Touch auf den linken oder rechten Rand. Das fände ich auch hier praktischer für einhändiges Lesen. Scheint in der App-Entwicklung noch niemand so gelesen zu haben. Der Mangelnde Fokus der Entwicklung auf den Praxisnutzen der App habe ich ja bereits weiter oben erwähnt. Wenigstens konsequent durchgezogen.

Die aus meiner Sicht wichtigste Verbesserung bezieht sich auf die Geschwindigkeit zum Blättern, Zoomen und Verschieben. Das ist erfreulicherweise erstmals wieder im Rahmen der Benutzbarkeit angelangt. Vielen Dank!

Artikelansicht

Die Artikelansicht ist kaum verändert. Die Bookmarks sind weiterhin hinter dem Untermenü versteckt. Dafür sind nun auch die Funktionen zum Schriftgrößenändern und zum Vorlesen auch von direkten Icons in ein Untermenü verschoben worden. Scheint mir nicht als eine generelle Verbesserung, stört mich persönlich aber auch wenig, da ich sie nicht nutzte.

Das Verschieben der Funktionen in Untermenüs reduziert die rechte obere Ecke auf das öminöse Dreistrichemenü neben dem Dreipunktemenü. Mich würde brennend interessieren, was sich die Macher dabei gedacht haben. Woher soll ein Anwender intuitiv wissen, welche Dinge sich hinter dem Dreistrichemenü und welche hinter dem dem Dreipunktemenü verbergen, ohne, dass man einfach auf gut Glück ausprobiert und im schlimmsten Fall alles durchschauen muss? Ist das in etwa ein verdeckter Frustgradstudienversuch, mit dem sich der Falter querfinanziert?

Fazit 2021-11-21

Durch die Geschwindigkeitszunahme ist nun erstmals die PDF-Ansicht wieder prinzipiell zum Lesen nutzbar. Doch die vielen anderen User-Interface-Ungereimtheiten bis hin zu dem Verhau mit den Bookmarks lassen mich zweifeln, dass ich jemals wieder so gerne am Tablet den Falter lesen werde wie vor dem unnötigen Konzeptwechsel mit Version 6.5 der Falter-App.

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