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derGrazer: Tendenziöse Berichterstattung zur Grazer U-Bahn

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Diese Woche gab es einigen Aufruhr wegen der Veröffentlichung von Plänen des Grazer Bürgermeisters Mag. Siegfried Nagl (ÖVP) mit seinem Vizebürgermeister Mag. (FH) Mario Eustacchio (FPÖ).

Graz mit seinen rund 300.000 Einwohnern soll eine U-Bahn bekommen, um seine Probleme im öffentlichen Verkehr zu bekämpfen.

Das wurde unter anderem auch mit einer Umfrage von der Wochenzeitung derGrazer untermauert, wonach 42,5 Prozent der Grazer das Vorhaben positiv sehen. Laut Impressum ist derGrazer eine "Unabhängige Wochenzeitung für Graz und Umgebung".

Ich habe mir das mal angesehen. Gleich vorweg: ich gehöre keiner politischen Partei an, bin kein Experte für Verkehrsfragen, habe als Grazer jedoch großes Interesse an einem bestmöglichen, öffentlichen Verkehr.

Umfrageergebnis

Die Umfrageergebnisse gingen an alle Grazer per Hauszustellung mit der Ausgabe vom 21. Februar 2021. Der Artikel befindet sich auf Seite sieben:

Wir haben unsere Leser auf www.grazer.at, Facebook und Instagram um ihre Meinung gefragt. Weit mehr als tausend Menschen haben abgestimmt. Die meisten (42,5 Prozent) halten die Idee für eine großartige. 40 Prozent würden lieber das bestehende Öffi-Netz ausgebaut sehen. Neun Prozent möchten abwarten, wie sich das Projekt entwickelt. 8,5 Prozent sind strikt dagegen.

Zielgruppe

Zielgruppe der Umfrage waren also alle Menschen, die derGrazer lesen.

Ich schaute mir die aktuelle Frage mal an:

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Umfrage derGrazer zur Impfwilligkeit.

Nur 42 Proxent für das aktuell einzige Mittel, die weltweit grassierende Pandemie mit Millionen Tote zu bekämpfen? Wir haben es hier (hoffentlich) mit einer uninformierten Minderheit zu tun.

Eigene Tests zeigten mir auch, dass es technisch sehr einfach ist, mehrfach seine Stimme abzugeben.

Fragestellung

Dankenswerterweise hat derGrazer zumindest die konkreten Fragen mit abgedruckt, unter denen sich die Befragten entscheiden mussten:

Wie man erkennen kann, hat der Autor dieser Umfrage viele grundsätzliche Regeln der klassischen Umfragegestaltung ignoriert. Die Formulierung "Großartige Idee!" suggeriert dem Leser eine Bewertung, die bei den anderen Antwortmöglichkeiten ausgeblieben ist. Graz wird in der ersten Frage mit einer "Lösung" für die Mobilität in Verbindung gesetzt. Das unterstreicht die suggerierende positive Antwort als solche.

Die zweite Antwortmöglichkeit stellt eine konservative Haltung dar, wonach das Existierende ausreicht und die Existenz eines Problems im öffentlichen Nahverkehr negiert wird.

Sehr spannend fand ich die Formulierung der dritten Antwortmöglichkeit. Im Gegensatz zu der "großartigen Idee" soll hier das aktuelle, bestehende Netz stärker beansprucht werden. Mit dem Wort "bestehend" schwingt mit, dass keine weiteren, neuen Strecken gebaut werden sollen. Meiner Meinung nach kompensiert das Wort "ausgebaut" hier nur unzureichend.

Die letzte Antwortmöglichkeit entspricht einer passiven Stimmenthaltung.

Somit sehe ich hier eine unfaire und suggestive Fragestellung, die sich entsprechend im Ergebnis widerspiegeln muss.

Unabhängigkeit

Mir sind solch tendenzielle Artikel ganz im Sinn von schwarzblau im derGrazer schon oft aufgefallen.

Und auch dieses Mal kommt ein weiteres Puzzlestein dazu, wenn der Chefredakteur im Editorial von "visionären Träumern" (positive Assoziation) und "vorsichtigen Kleinbrotbäckern" (eher negative Assoziation) spricht.

Die Unabhängigkeit vom derGrazer scheint auch dadurch zu leiden, wenn bei einem Gratulationsvideo ausgerechnet nur die Politiker sprechen, die auf Kurs mit der Blattlinie sind.

Schade eigentlich. Ich hätte schon gerne eine wirklich unabhängige Wochenzeitung für Graz.

Das Projekt

Was mich wundert ist der Umstand, dass das erneute Vorpreschen mit einem stark umstrittenen Projekt wieder "am Gemeinderat vorbei" und "ohne Einbindung zuständigen Fachleute der Stadt" und gegen die Expertise der zuständigen Verkehrsstadträtin passiert ist. Das finde ich alles andere als beruhigend.

"Die Machbarkeit steht außer Frage. Es wurde alles berechnet. Man sollte die Metro errichten", so etwa Peter Veit, Leiter des Instituts für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft an der TU Graz.

Wenn man sich das Zitat mal ansieht, erkennt man recht schnell, dass hier von der technischen Durchführbarkeit direkt auf die Sinnhaftigkeit der Umsetzung geschlossen wurde. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist automatisch eine gute Idee.

Entsprechend sehen das auch die meisten Kommentatoren unter dem Artikel der Stadt Graz. Wollen wir nicht hoffen, dass wir kein weiteres überteuertes Prestigeprojekt von schwarzblau sehen, das am Problem eindeutig vorbeigeht und unsere Steuergelder falsch rauswirft.

Meine Befürchtung ist, dass Graz einen überteuerten Weg sucht, von der Diskussion um die notwendige Reduktion vom Individualverkehr im Sinne der Verkehrsoptimierung abzulenken. Stattdessen wurden bereits die letzten Jahre in der Innenstadt zahlreiche Fahrradstellplätze abgeschafft und die Mindestbreiten der PKW-Parkplätze verbreitert, damit SUVs weniger Probleme haben. Ich fürchte, die politische Stoßrichtung ist leider eindeutig.

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