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Mit dem Traktor pendeln

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Als eine in der IT fundierte Person, lernt man, dass Menschen gerne mit dem Traktor vom Land in die Stadt pendeln.

Das ist nun mal so. Entweder, man findet sich damit ab oder man hat es im Leben schwer. Da ich die Veranlagung habe, Missstände aufzuzeigen und ich einer Verbesserung des Status Quo zugeneigt bin, habe ich in dieser Frage ein schweres Leben gewählt.

Status quo zementis

Mit dem Traktor pendelnde Menschen sehen nicht nur keine Veranlassung, die Situation durch den Einsatz von Fahrrad, öffentlichen Verkehrmitteln oder zumindest Autos zu verbessern. Nein, sie finden auch noch bestechend logische Argumente dafür, weshalb diese Situation keiner Optimierung bedarf.

Zuweilen findet man die Argumentationslinie, dass auch schon die Person, die ihnen seinerzeit das motorisierte Fahren beigebracht hat, auch schon mit dem Traktor gefahren ist. Bewährtes sollte man nicht hinterfragen, möchte man da zwischen den Zeilen herauslesen.

Ebenso vertreten ist die Rechtfertigung durch das Ergebnis. Menschen kommen mit dem Traktor erfolgreich vom trauten Heim zur Arbeit. Das genügt. Gerade das Bemühen der Genügsamkeit ist heuchlerisch, wenn man sich das teilweise frenetische Feiern der Kauflust, Besitzlust, Wollust oder anderen Lüsten vergegenwärtigt. Keinesfalls möchte ich hier Vorwürfe in die Richtung von Lüsten machen. Ich finde, unsere Gesellschaft sollte Lüste auch außerhalb von Konsum und Ernährung fördern. Jedoch ärgert es mein Philosophenherz (»Philosphie« im ursprünglichen Sinn gebraucht) durchaus, wenn Genügsamkeit in Zusammenhang mit Wissen oder Methodik eingesetzt wird.

Vergleich

Mit dem Traktor zur Arbeit pendeln ist für das sehenden Auge mit klaren Nachteilen verbunden. Doch diese scheinen für die Traktor-Fraktion nicht sichtbar zu sein.

Konfrontiert man die Traktorenfahrer mit gut gemeinten Einwänden und Tipps zur Verbesserung ihrer Situation, so widerfährt einem leider oft eine gemischte Reaktion aus Ablehnung, Trotz, Müßiggang, bis hin zu Aggression.

Um meine innere Anspannung, die das Traktor-Thema mit sich bringt zu veranschaulichen, werde ich auf ein anderes Beispiel wechseln, wo der Leser bestimmt und klar meine »Message« vernehmen kann. Ich wähle hierzu den Umgang mit einem Werkzeug, von dem so gut wie jeder in unserer Gesellschaft ständig unmittelbar abhängig ist: Der Computer.

Es gibt Leute, die arbeiten seit Jahren mit dem Werkzeug Computer und streben nach Minimierung von üblen und öden Dingen. Und dann gibt es Leute, die arbeiten seit Jahren mit dem Werkzeug Computer.

Nennen wir die erstere Gruppe der Einfachheit halber mal »Geeks« und die zweite Gruppe »ONUs«. Geektum wird oft zu unrecht negativ assoziativ verstanden. Ich trete gemeinsam mit wichtigen Leuten an, um diesen Umstand zu ändern. Und so möchte ich diesen Begriff auch hier verstanden wissen. Ähnlich und doch konträr verhält sich meine Einstellung zum Begriff »ONU«, das kurz für »Otto Normaluser« steht. Leider vielfach abwertend gemeint, sind ONUs im Gegensatz von Geeks die absolute Mehrheit der Computerbenutzer. Und zwar deutlich.

Aus diesem Blickwinkel heraus gäbe es heutzutage ohne ONUs keine Geeks. (Geschichtlich war das schon mal anders.) Ich finde ONUs keineswegs abwertend, sondern als Begriff und als Rolle absolut notwendig für Geeks und für Nicht-Geeks. Aber nun höre ich mit Begrifflichkeiten auch schon wieder auf. Ich denke, ich konnte meine Position klar darlegen, um Missverständen in deren Interpretation vorzubeugen.

Kommen wir zurück zu unserer gewählten Metapher für den Traktor-Wahnsinn: der Umgang mit dem Werkzeug Computer, in welcher Form auch immer (PC, Tablet, Smartphone, Digitalkamera, und so weiter).

Ich darf oft jemanden bei der Arbeit mit dem Gerät über die Schulter schauen. Das passiert bei Präsentationen am Beamer genauso wie beim neugierigen Austausch zwischen Freunden genauso wie bei Kollegen bei der Arbeit. Immer wieder. Gottseidank. Dabei sehe ich häufig, wie jemand ein gewünschtes Ergebnis nur sehr umständlich erreicht.

Ein Beispiel

Eine Schulungsleiterin - nennen wir sie Bertha - präsentiert mittels Microsoft Powerpoint in einem Seminarraum. Sie ist in Powerpoint bereits fortgeschritten und verwendet die Funktion, Videodateien direkt auf den Folien zu verlinken. Dadurch erscheint auf der Folie ein Icon, wodurch sie das entsprechende Video einfach starten lässt. Bei ihrer Präsentation kommt nun die Stelle, wo sie das kurze Video zeigen möchte. Jedoch ist der Präsentationscomputer ein schwachbrüstiges Exemplar, was sich darin äußert, dass das Video erst nach einer Verzögerung erscheint. Während dieser Wartezeit wird Bertha nervös und klickt dabei nochmals auf die Folie. Das veranlasst, dass Powerpoint im Vordergrund bleibt, da die Benutzerin offenbar (Mausklick!) in Powerpoint weiterarbeiten möchte. Das Video startet daher im Hintergrund, was durch den einsetzenden Ton des Videos für jeden merkbar wird.

Die Situation ist also folgende: Powerpoint ist im Vordergrund und zeigt die aktuelle Folie. Das Videoabspielprogramm spielt im Hintergrund das gewünschte Video aber man hört nur den Ton und sieht nichts vom Bild.

Bertha wird nervös und möchte so rasch als möglich zum Video wechseln, doch Powerpoint ist optisch im Weg. Sie kann sich nur dadurch helfen, dass wie aus dem Präsentationsmodus herauswechselt und dann entweder über die Windows-Taskleiste zum Video wechselt oder gleich Powerpoint komplett beendet.

Hätte Bertha das Tastenkürzel Alt-TAB (Wechsel zwischen aktiven Programmen) gekannt, hätte sie gleich nach Start des Videos dieses Kürzel eingesetzt, um auf die nächste Anwendung im Hintergrund zu wechseln.

Wenige vom täglichen Ärger durch ein wenig Lernen

Berta, als hier unfreiwillige Vertreterin der Traktor-Fraktion, kann sich durch das Lernen von wenigen Tastenkürzel wie Alt-TAB, Strg-C (Kopieren in die Zwischenablage) oder Strg-V (Einfügen von der Zwischenablage) das Leben deutlich vereinfachen. Schließlich betrifft es das Werkzeug, mit dem sie den ganzen lieben Tag arbeitet.

Auch wenn die meisten ONUs Dinge wie Zwischenablage nur mittels Icons oder Menüleisten verwenden, sollten zumindest für häufig verwendete Dinge entsprechende Abkürzungen Teil des angewandten Wissens sein. Das Bewusstsein, dass ich mir Dinge vereinfachen kann, sollte ständiger Begleiter am Computer sein.

Hilfe zur Selbsthilfe

Microsoft hat mit seinem Office 97 Assistenten Clippy (Karl Klammer) einen gut gemeinten Versuch gestartet, der jedoch bekanntermaßen nicht akzeptiert wurde. Ich bin der Meinung, dass Hilfe zur Selbsthilfe durchaus weiter probiert werden soll. Der beste Weg dafür ist nach wie vor das neugierig bleiben und das über die Schulter Schauen bei einem Kollegen.

Doch nicht nur der Umgang mit Software ist wichtig. Auch die Wahl der passenden Software ist ein probates Mittel, gewünschte Aufgaben deutlich eleganter erledigen zu können. Hierbei kann grob zwischen zwei Klassen von Werkzeugen unterschieden werden: Software, die für den leichten Einstieg optimiert wurde und Software, die für das effiziente Benutzen optimiert wurde.

Die Optimierung auf einen einfachen und raschen Einstieg in ein Produkt steht in den meisten Fällen diametral zu einer effizienten Benutzung durch den erfahren Anwender. Wenn Benutzer eine Software-Lösung auf täglicher Basis im Einsatz haben, ist der Einstiegsaufwand nebensächlich. Verwendet jemand ein Werkzeug auf viele Jahre täglich mehrere Stunden, ist es egal, ob die Einarbeitung in dieses Werkzeug zwei, zwanzig oder gar zweihundert Stunden benötigt hat.

Mit anderen Worten: wenn ein Benutzer eine Software kaum oder nur sehr selten verwendet, so soll er sich ein Produkt suchen, das ohne viel Wissen benutzt werden kann. Falls der Benutzer eine Software gar auf täglicher Basis oder zwischendurch sehr intensiv nutzt, so spricht das absolut für ein Werkzeug, das auch einen gewissen Lernaufwand benötigt um dafür später fortgeschrittene Arbeitsschritte effizient zu erledigen.

Dieser Umstand ist den meisten Menschen leider nicht gegenwärtig. Aus diesem Grunde werden sehr oft die falschen Werkzeuge durch ONUs eingesetzt.

Werkzeugwahl

Zur falschen Wahl von Werkzeugen gibt es zahlreiche Beispiele. Bilder werden zum gemeinsamen Versenden in ein Word-Dokument eingefügt, anstatt sie zum Beispiel in eine ZIP-Datei zu packen. Für kleine Änderungen an Fotos (Zurechtschneiden, Drehen, ...) wird oft eine teure Photoshop-Lizenz verwendet, anstatt adäquate Alternativen zu suchen, die oft mit keinen Kosten verbunden sind. Nicht selten wird eine wissenschaftliche Abschlussarbeit mit Word verfasst (besser: LaTeX mit einer guten Vorlage). Diese Sammlung kann jeder Computerexperte nahezu unendlich weiterführen.

Methodenwahl

Das Verhindern von Problemen hat nicht immer nur mit der Wahl des passenden Werkzeuges zu tun. Oftmals genügt es, andere Arbeitsschritte zu verwenden oder andere Optionen zu wählen.

Auch hier sind die Beispiele Legion: Das Selektieren von einzelnen Dateien und Ordnern fürs Kopieren oder Löschen wird durch Drücken der Strg-Taste in Kombination mit der Maustaste möglich. Unerfahrene Anwender benötigen hierzu für jede Datei einen eigenen Schritt.

Bei der Wahl der Grafikformate werden leider fast immer die falschen Formate verwendet. Das (verlustbehaftete) JPEG-Format soll ausnahmslos(!) für Fotografien verwendet werden. Das komprimierte PNG-Format empfiehlt sich quasi für den Rest: Grafiken, die am Computer entstehen werden in PNG gespeichert (abgesehen von Vektorgrafiken, die in SVG gespeichert werden). Beispielsweise sollen Firmenlogos, Screenshots, Diagramme, und so weiter nur in PNG gespeichert werden. Beachtet man diese Regeln nicht, so führt das zu schlechten oder unbrauchbaren Ergebnissen.

Zauberei

Kann sich ein ONU für das Werkzeug Computer, der er oder sie täglich vor der Nase hat, interessieren, so führt das Eine zum Anderen. Dort ein kleiner Trick, dort ein Aha-Erlebnis, dort ein Tipp vom Kollegen, wie man sich dumme Arbeit spart.

Schritt für Schritt merkt man in so einer Situation, dass man bei den Kollegen als »der Experte« gilt. Ganz automatisch, ohne große Absicht. Und so wird aus einem ONU irgendwann mal ein neuer Geek. Der neue Geek sieht sich selten gleich in dieser Rolle. Meistens kennt er oder sie ja zur Genüge viele Leute, die deutlich mehr wissen. Doch das genügt bereits im eigenen Umfeld. Unter den Blinden ist der Einäugige König heisst es. Und so verhält es sich auch in der IT.

Mit dem Traktor pendeln

Ich habe etwas weit ausgeholt mit meinem IT/EDV-Vergleich. Doch nun hoffe ich, dass ich genug Motivation aufbauen konnte, um den einen oder anderen Traktorfahrer zum Überlegen zu bringen. Die gut gemeinten Ratschläge der informierten Kollegen sind womöglich hilfreich, den beschwerlichen Weg zur Arbeit auf alternativem Wege zu bewältigen. Plötzlich sieht man selbst, wie umständlich man bislang tagtäglich auf der Straße unterwegs war. Plötzlich merkt man, dass es durchaus eine gute Idee ist, die Öffis oder das Fahrrad zu probieren. Und siehe da - es ist auch ganz leicht, wenn genug Leidensdruck ein wenig Rückenwind verschafft hat.

Nun hat man wieder ein Stück gelernt, nun freut man sich über jede Kleinigkeit, die dadurch leichter von der Hand geht. Genug Motivation für ein weiterhin lehrreiches Leben.

Vielen Dank fürs Durchhalten bis zum Schluss. Ich denke, es hat sich gelohnt und neue Ideen kommen ab jetzt auf noch offenere Köpfe.

Es gibt noch einen weiteren Beitrag, der eine ähnliche Situation am Festhalten an etwas Altem beschreibt: der Desktop Metapher.


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