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Pop-Musik verkommt in Richtung Mittelmäßigkeit mit Ablaufdatum

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Heute las ich einen Artikel, in dem berichtet wurde, wie sehr der Verkauf von physischen Musikalben zurückgegangen ist. Ich habe schon mehrfach beklagt, dass die Tendenz der letzten Jahre aus meiner Sicht bedenklich ist. Die generelle Tendenz, wohlgemerkt. Immer wieder gibt es vereinzelte Ausnahmen.

Doch das Gros an Neuerscheinungen in den Charts besteht aus meiner Perspektive aus Einheitsbrei: Masse statt Klasse. Selten bis nie werden Musikstücke von vor, sagen wir mal fünf Jahren nach wie vor im und außerhalb vom Radio gespielt. Somit erhält sich das System mit Eintagsfliegen, die in großer Zahl ständig produziert werden müssen. Kein Wunder auch, dass viele Kinds Musik fast ausschließlich per YouTube konsumieren. Ist auch schon egal.

Damit einher geht eine Entwicklung, dass immer weniger Neuerscheinungen von Künstlern kommen, die in klassischer Manier sowohl Text als auch Melodie selbst komponiert haben. Das gab es zwar auch schon früher aber nicht auf so breiter Basis wie derzeit.

Musikalische Entdeckungsreisen

Wenn ich mir ein neues Album gekauft habe, habe ich es immer sehr genossen, alle darin enthaltenen Songs nacheinander für mich zu entdecken. Oftmals sind es gerade die eher unbekannten Songs eines Albums, die ich langfristig als meine Lieblinge erkannt habe "Seven Days" (hier in meiner absoluten Lieblingsversion live) oder "Tomorrow We'll See" von Sting, "Private Investigations" von Dire Straits, "Running To Stand Still" von U2 und sehr viele mehr.

Radio-untaugliche Lieder haben kaum noch eine Chance. Es gab auch schon früher solche Lieder. Manche Songs werden aufgrund ihrer Laufzeit selten bis nie gespielt. "Shine On You Crazy Diamond I-V" von Pink Floyd mit fast vierzehn Minuten oder die durchaus stimmige Kombination von beiden Teilen von "The Road To Hell" von unserem Auto-Song-Spezialisten Chris Rea mit fast zehn Minuten seien hier exemplarisch genannt.

Andere Lieder eignen sich nicht für Radio, weil sie zu schräg sind oder man etwas Verständnis beziehungsweise Hintergrundwissen benötigt, um sie verstehen zu können: "The Trial" von Pink Floyd, "Revolution 9" oder "Polythene Pam" von den Beatles.

Auch Streaming-Dienste werden meiner Schätzung nach Radio-untauglichere Lieder kaum propagieren. Typischerweise hören die meisten Leute die bekannteren Charts-Lieder und Song-Empfehlungs-Algorithmen arbeiten so, dass sich die häufiger gespielten Songs auch häufiger in Playlisten wiederfinden. Kein Platz für das Entdecken guter "B-Side-Songs", die kaum bekannt sind.

Kommerzdruck

Bei den Radiostationen kommt noch hinzu, dass sie als Marionetten der Musikindustrie gelten. Es wird hier mit legalen und oft auch illegalen Methoden diktiert, wie das Programm zu gestalten ist. Kein Wunder, dass man auf Ö3 einen aktuellen "Hit" durchaus fünfzehn bis zwanzig Mal am Tag vorgesetzt bekommt. Wer kennt den Effekt des zu Tode Spielens nicht? Sehr interessant sind auch die Diskussionen um die Radioquoten (Arbeit zu dem Thema als PDF). Das führte in der Vergangenheit sogar zu Protest, Boykott und Demos gegen Sender wie Ö3.

Konzeptalben adé

Einen Aspekt, der bislang kaum zur Sprache gebracht wurde, möchte ich hier noch einbringen: durch die derzeitige Tendenz haben Künstler mit Konzeptalben kaum noch eine Chance. Ich muss zugeben, das ich in dieser Hinsicht stark geprägt bin. Ich habe Alben wie "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" von den Beatles gerade wegen deren Konzept geliebt. Gruppen wie The Who würden heutzutage kaum noch mit dem genialen Album "Tommy" Erfolg haben.

Die für mich wichtigsten Konzeptalben kommen von Pink Floyd und Roger Waters. Falls davon mal was im Radio kommt, dann sind es so Lieder wie "Another Brick in the Wall (Part Two)" - leider nur besser bekannt unter der Refrain-Zeile "We Don't Need No Education". Vollkommen aus dem Kontext gerissen wird jegliche Möglichkeit im Keim erstickt, das Lied auch nur ansatzweise so zu verstehen, wie es gedacht war.

Im Gegensatz zu den meisten Menschen fand es durchaus verständlich, dass Pink Floyd sich auch vor Gericht dagegen gewehrt haben, ihre großartigen Werke im iTunes Store als Einzel-Songs filetiert zu sehen. Konzeptalben sind wie Opern: Klassik-Fans werden ebenfalls die Nase rümpfen, wenn jemand aus Mozarts Don Giovanni das "Sù! svegliatevi da bravi" als solches alleine herauspickt. Ich finde, ein Künstler darf die Möglichkeit haben, diesen Umstand damit gerecht zu werden, indem diese Alben nur in deren sorgfältig erdachter Gesamtkomposition verkauft werden dürfen.

Mich haben meine sehr intensiven Pink-Floyd-Jahre dermaßen geprägt, dass ich nach wie vor nur komplette Musikalben in meine Sammlung hinzufüge. Ganz wenige Ausnahmen sind Songs, die leider auf keinem Album mehr zu bekommen sind.

Vermutlich werden heutzutage Konzeptalben von bekannten aber vermutlich eher unbekannten Künstlern weiterhin komponiert. Nur sie finden aufgrund der Inkompatibiliat mit diesem Ecosystem der Musikindustrie keine nennenswerte Verbreitung mehr. Grassroot-Dienste, die unabhängigen Künstlern eine Vertriebsmöglichkeit bieten sind viel zu wenig populär, um hier (noch?) einen adäquaten Gegenpol darzustellen.

Ich finde das sehr schade.

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